So. Die Show ist vorbei. Bis die Tage. Ohne "Uh! Ah! I Wanna Know..." Das Oktoberfest wird wieder abgebaut. Zu den nervösen, hupenden Parkplatzsuchern in den Abendstunden in den Innenstadtviertelstraßen gesellen sich keine nervösen, hupenden Oktoberfestgäste mehr (die zwar mal locker an einem Abend mehr als hundert Euro rausblasen können, aber fürs Park-and-Ride-Ticket zu geizig san). Egal. Vorbei für ein Jahr. Nur noch ein paar dunkle Flecken auf den Trottoirs zeugen von den Kotzorgien, die das Gebräu und der Festfraß anrichteten, denn wie jedes Jahr erwies sich die in München zu Gast seiende Welt als lernunfähig, mit Bierquantitäten würdevoll umzugehen. Was soll's, vorbei is vorbei. Und immer mehr Festgäste sehen das Spektakel als einen Vroni-und-Seppl-Karneval, als ein Chaos der verheidigten und gepeterten Sorte, bei dem eine ganz eigene Art von Frackzwang herrscht. Und ganz ehrlich: Alles kann ich dem Oktoberfest und seinen Gästen verzeihen, aber nicht letzteres.
Mein lieber Kollege, Gentle Rocker, hatte es treffend zusammengefasst, und da möchte ich mich gerne anschließen: Auch mich haben manche Anfragen nach meiner Lederhosenresistenz in eine ungewohnte Verteidigungshaltung gepresst, die mir so vorher nie bewusst wurde. Ich möchte es mal vorsichtig ausdrücken: Ich liebe es zu saufen. Ich liebe es, wie ein Prolet vom Leder zu ziehen und es saumäßig krachen zu lassen. Ich liebe es, Gassenhauer mitzugröhlen (ok, am liebsten, wenn sie von den Ärzten, den Hosen oder Motörhead sind. DJ Ötzis gecovere muss net wirklich sein). Aber ich liebe es nicht, mich dazu zu verkleiden. Das hat nicht einfach in einem Uniformitätsunwillen seinen Ursprung, sondern leider in meinen Respekt vor den Lebensumständen der Menschen und den daraus erwachsenden Traditionen.
Nehmen wir mal die Tracht, die in Bayern keineswegs historisch ist, sondern höchstens historisierend, quasi ein Kompromiss am Ende eines Volkskundlerkongresses. Wenn sie jemand anzieht, der hier zu Hause ist, dann wird sicherlich nicht das Oktoberfest der einzige Anlass im Jahr sein. Dann wird vielmehr die Tracht wichtig genug sein, dass sie auch wirklich aus der Gegend kommt und nicht aus dem Landhausmodeshop, der nur zur Wiesn-Zeit aufmacht. Es macht nämlich schon einen Unterschied, ob Bursch und Madel in Werdenfelser oder Berchtesgadner Hosn oder Dirndl auf die Wiesn geht. Oder die anderen Formen, die nach Orten und Landstrichen benannt sind.
Tracht ist ja etymologisch dem Wort "tragen" sehr nah verwandt. Einmal im Jahr zum Oktoberfest "tragen" sollte damit eigentlich nicht gemeint sein. Es mutet dann doch etwas seltsam an, wenn ein Informatiker aus Berlin eine Lederhose (99 Euro aus dem Trachtenoutlet am Flughafen!) anzieht und dann im Bierzelt etwas von "Ick will a Mass" zur Bedienung bayert. Neben ihm meint die Marketingfachkraft, sie sähe im rosa Mini-Dirndl süß aus, wenn sie aus ihrem blondierten Pferdeschwanz zwei Zöpferl flicht.
Von den eingangs angesprochenen Begleiterscheinungung des Oktoberfests, abgesehen von der Verunhöflichung der Menschen im Umgang miteinander, vom schiach Angucken bis zum Totstiefeln, ist der aus Unkenntnis begangene Trachtenterror die wohl mieseste Verfehlung, die zur Wiesnzeit begangen werden kann. Schauen wir uns das mal näher an: Noch vor wenigen Jahren war die Welt in Ordnung, da nähten einige wenige Hersteller in Bayern die Trachten, die für autentisch gehalten und daher so gern zur Wiesn getragen werden. Mit dem zunehmenden Erfolg der Wiesn und der reziprok abnehmenden Sachkenntnis in Trachtenmode bei Zuagroastn und anderen in München nur Arbeitenden entstand ein Geschäftsfeld namens McSepp und McDirnd: Weil ja jeder Tourist und jeder Gastarbeiter (nein, ich meine auch den Informatiker aus Berlin, den Diplom-Kaufmann aus Ibbenbüren und den SEO aus Coburg!) unbedingt als Bayer zum Oktoberfasching gehen muss, ergab es sich eben, dass das ganze Getrachtel kommerzialisiert und vor allem industrialisiert werden musste. Und daher werden heutzutage die Lederhosen für den Sepp und die Dirndl für die Vroni nicht mehr in Berchtesgaden oder am Tegernsee oder im Werdenfelser Land gefertigt, sondern in Hongkong, Taiwan, Bangladesch, Malaysia, Thailand und Korea. Bald bestimmt auch in Shanghai und Peking, denn der traditionsbewusste Festlandchinese kauft nur festlandchinesische Ware, wenn er zum Oktoberfest fährt. Die Fernostproduktion hatte zur Konsequenz, dass die Trachten nicht unbedingt autentischer, dafür aber umso billiger wurden; und dass die Verkleidungshemmschwelle unterschritten wurde. (Wenn ein Dirndl so viel kostet wie ein Hexenkostüm zu Halloween, dann scheiß doch auf Coco Chanel und die Differenzierung weiblicher Formen, her mit der weiblichsten aller Silhouetten.) Eine weitere Konsequenz allerdings war, dass viele Lederhosen- und Dirndlhersteller in der Region vom Oktoberfestboom der letzten Jahre nur die Schattenseite mitbekamen: Die "echten" Trachten waren teuer und wurden vom verkleidungswütigen Oktoberfestfremdpublikum nicht gekauft. Ihre Käuferschichten wanderten allerdings zu den Oktoberfestshops ab, weil diese die "richtige" Trachtenmode über den Septembertand für Touristen querfinanzierten. Dadurch fielen die Preise. Folge: viele Hersteller konnten nicht mehr mithalten und machten dicht. Mit ihnen die Boutiquen auf dem Land, weil die geldschweren Touriströme an ihnen vorbeiflossen.
Gerade überlege ich mir, ob ich den nächsten Monatslohn in eine fränkische Tracht anlegen sollte... anyway: Ich gehe jetzt zum Kühlschrank und hole mir noch ein Bier.
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Wow, gut gebrüllt, Löwe! Nächstes Jahr gehma zammen auf´d Wiesn;)
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